Geht weiter ohne anzuhalten
Kommuniqué der Solidarität mit der "Occupy" Bewegung aus Kairo.
Above: Video still from Kasr Al Nile bridge protests. (almasryalyoum.com) - Below: Police square off against protesters on Brooklyn bridge. (Jessica Rinaldi/Reuters)
An alle die in den USA zur Zeit Parks, Plätze und andere Räume besetzt halten, Eure Genossen in Kairo beobachten Euch in Solidarität. Nachdem wir soviel Rat von Euch über den Übergang zur Demokratie bekommen haben, dachten wir, jetzt sind wir dran, an Euch Ratschläge zu verteilen.
In der Tat sind wir jetzt in vielerlei Hinsicht in denselben Kampf verwickelt. Was die meisten Experten "den Arabischen Frühling" nennen, hat seine Wurzeln in den Demonstrationen, Aufständen, Streiks und Besetzungen, die auf der ganzen Welt stattfinden; seine Grundlagen liegen in den jahrelangen Kämpfen von Menschen und populären Bewegungen. Der Moment in dem wir uns befinden ist nichts neues, da wir in Ãgypten und woanders gegen Systeme der Unterdrückung gekämpft haben, gegen Entrechtung und die ungebremsten Verwüstungen des globalen Kapitalismus (Ja, jetzt ist es raus, Kapitalismus): ein System das eine Welt hervorgebracht hat, die gefährlich und grausam für seine Bewohner ist. Während die Interessen von Regierungen zunehmend die Interessen und den Komfort von privatem, transnationalem Kapital bedienen, sind unsere Städte und Wohnungen zunehmend abstraktere und gewalttätigere Orte geworden, die dem zufälligen Wüten der nächsten wirtschaftlichen Entwicklung oder des nächsten städtebaulichen Umstrukturierungsplan unterworfen sind.
Eine ganze Generation rund um den Globus ist mit der Erkenntnis aufgewachsen, im Denken und im Fühlen, dass wir keine Zukunft haben, so wie die Dinge jetzt geordnet sind. Während wir unter einer politischen Agenda der strukturellen Anpassung und der angeblichen Expertise internationaler Organisationen wie der Weltbank und des IWF lebten, sahen wir zu, wie unsere Ressourcen, Industrien und öffentlichen Dienste verkauft und abgebaut wurden während der "Freie Markt" die Abhängigkeit von ausländischen Produkten durchdrückte, sogar von ausländischem Essen. Die Profite und Vorteile dieser befreiten Märkte gingen woanders hin, während Ãgypten und andere Länder des Südens sich in durch massiven Anstieg von polizeilicher Unterdrückung und Folter verschärfter Verelendung wiederfanden.
Die gegenwärtige Krise in Amerika und Westeuropa hat begonnen, diese Wirklichkeit auch zu Euch nach Hause zurück zu bringen: Dass, so wie die Dinge stehen, wir alle uns krumm arbeiten werden, mit durch persönliche Schulden und öffentlichen Sozialabbau gebrochenem Rückrat. Nicht genug damit, die Reste des öffentlichen Raumes und des Sozialstaates auszuhöhlen, attackieren der Kapitalismus und der Sozialdemontagestaat jetzt sogar den Privatbereich und das Recht der Menschen auf anständiges Wohnen indem tausende von zwangsvollstreckten Hausbesitzern sich als Obdachlose und bei den Banken verschuldet wiederfinden, die sie zwangsweise auf die Straße gesetzt haben.
Also stehen wir nicht nur hinter Euch bei euren Versuchen, das Alte in die Knie zu zwingen, sondern auch mit dem Neuen zu experimentieren. Wir protestieren nicht. Gegen wen könnten wir protestieren? Was könnten wir von ihnen fordern, das sie uns gewähren könnten? Wir besetzen. Wir fordern dieselben Räume öffentlicher Praxis zurück, die zu Waren gemacht worden sind, die privatisiert wurden und in die Hände einer gesichtslosen Bürokratie, in Immobilienportfolios, und Polizei "Schutz" weggeschlossen. Haltet sie fest diese Räume, nährt sie, und lasst die Grenzen eurer Besetzungen wachsen. Wer hat denn schließlich diese Parks, diese Plätze, diese Gebäude gebaut? Wessen Arbeit hat sie real und lebenswert gemacht? Was soll daran so natürlich sein, dass sie uns vorenthalten, polizeilich abgesperrt und diszipliniert werden? Diese Räume zurückzufordern und sie gerecht und gemeinsam zu verwalten ist Beweis genug für unsere Legitimität.
Bei unserer eigenen Besetzung von Tahrir trafen wir Leute, die jeden Tag in Tränen auf den Platz kamen, weil es das erste Mal war, dass sie durch diese Srassen und Räume gingen ohne von der Polizei schikaniert zu werden; nicht nur die Ideen sind wichtig, diese Räume sind grundlegend für die Möglichkeit einer neuen Welt. Dies sind öffentliche Räume. Räume zum Versammeln, Muße für zum Treffen und Interagieren: diese Räume sollten der Grund sein, weshalb wir in Städten leben. Wo der Staat und die Interessen von Eigentümern sie unzugänglich, exklusiv oder gefährlich gemacht haben, ist es an uns, sicher zu stellen, dass sie sicher sind, einschließend und gerecht. Wir haben sie geöffnet und müssen sie weiter öffnen für jedermann, der eine bessere Welt erbauen möchte, besonders für die an den Rand gedrängten, die ausgeschlossenen und für die Gruppen, die am meisten gelitten haben.
Was du in diesen Räumen tust ist weder so grandios und abstrakt noch so alltäglich wie "wirkliche Demokratie"; die beginnenden Formen von Praxis und sozialem Engagement, die bei den Besetzungen entstehen, vermeiden die leeren Ideale und den schalen Parlamentarismus, den der Begriff Demokratie mittlerweile repräsentiert. Und deshalb müssen die Besetzungen weiter gehen, weil es niemanden mehr gibt, der Reformen fordert. Sie müssen weiter gehen, weil wir erschaffen, worauf wir nicht mehr länger warten können.
Aber die Ideologien von Eigentum und Besitz werden sich wieder zeigen. Ob durch die offene Opposition von Landbesitzern oder Stadtverwaltungen gegen unsere Zeltlager oder die subtileren Versuche den Raum durch Verkehrsregelungen, Anti-Camping Gesetze oder Gesundheits- oder Sicherheitsregeln. Es gibt einen direkten Widerspruch zwischen dem, was wir aus unseren Städten und Räumen machen wollen und dem, was das Gesetz und die Sicherheitssysteme, die dahinter stehen, von uns wollen.
Wir sind solcher direkten und indirekten Gewalt begegnet und wir begegnen ihr weiterhin. Diejenigen, die sagten, dass die ägyptische Revolution friedlich gewesen ist, haben nicht den Horror gesehen, mit dem die Polizei uns heimgesucht hat, und sie haben auch nicht den Widerstand gesehen, sogar die Gewalt, die Revolutionäre gegen die Polizei gebrauchten, um ihre Zeltbesetzungen und Räume zu verteidigen: die Regierung gab es selber zu; 99 Polizeistationen waren in Brand gesteckt worden, tausende von Polizeifahrzeugen wurden zerstört, und alle Büros der Regierungspartei in ganz Ägypten wurden niedergebrannt. Barrikaden wurden errichtet, Beamte wurden zurückgeschlagen und mit Steinen beworfen sogar als sie Tränengas und scharfe Munition auf uns abfeuerten. Aber letztendlich zogen sie sich am 28. Januar zurück, und wir hatten unsere Städte erobert.
Es entspricht nicht unserem Verlangen uns an Gewalt zu beteiligen, aber noch weniger wollen wir verlieren.
Wenn wir nicht aktiv Widerstand leisten, wenn sie kommen, um das, was wir gewonnen haben, zurück zu holen, dann werden wir sicher verlieren. Verwechselt nicht die Taktik, die wir benutzten, als wir riefen "friedlich" mit der Fetischisierung von Gewaltlosigkeit; Wenn der Staat sofort aufgegeben hätte, wären wir überglücklich gewesen, aber als sie versuchten, uns zu missbrauchen, uns zu schlagen, uns zu töten, wussten wir, dass es keine andere Möglichkeit gab als zurück zu schlagen. Hätten wir nachgelassen und uns erlaubt, verhaftet zu werden, gefoltert zu werden, und zu Blutzeugen gemacht zu werden - "aus Prinzip", hätten wir nicht weniger geblutet, wären nicht weniger geschlagen und getötet worden. Seid bereit diese Dinge, die ihr besetzt habt zu verteidigen, die ihr aufbaut, weil, nachdem uns alles andere weggenommen worden ist, sind diese zurückeroberten Räume für uns so sehr wertvoll.
Abschließend also, unser einziger wirklicher Rat an Euch ist weiterzumachen, geht weiter und haltet nicht an. Besetzt mehr, findet einander, baut immer größere Netzwerke und entdeckt weitere neue Wege, mit sozialem Leben zu experimentieren, mit Konsens und mit Demokratie. Entdeckt neue Arten, diese Räume zu benutzen, entdeckt neue Wege, sie zu halten und sie niemals wieder aufzugeben. Leistet heftigen Widerstand, wenn ihr angegriffen werdet, aber ansonsten freut euch daran, was ihr tut, lasst es leicht sein, sogar Spaß. Wir schauen uns jetzt alle gegenseitig zu, und von Kairo aus wollen wir sagen, dass wir solidarisch mit Euch sind, und wir lieben Euch alle für das, was ihr tut.
Genossen aus Kairo.24.Oktober, 2011